Darmstädter Echo vom 9. September 2018

Von Oliver Lohmann

KREIS BERGSTRASSE - Wer auf einem Bahngleis steht und den Lärm eines vorbeifahrenden Güterzuges vernimmt, fragt sich: Kann man an einer Bahnstrecke leben, auf der in 24 Stunden 300 Züge fahren?

Man kann. Tausende Lampertheimer, Bürstädter, Bibliser, Groß-Rohrheimer, Heppenheimer und Bensheimer leben an einer vielbefahrenen Bahnstrecke. Trotz Lärmschutzwänden müssen die Anwohner eine Menge Krach ertragen, vor allem am Abend und in der Nacht, wenn die Güterzüge über die Strecke rattern. Wer bislang glaubte, es wird schon leiser, wenn es bald eine neue Zugtrasse gibt, könnte sich irren. Der Bahnlärm wird erst einmal zunehmen. In der Lampertheimer Eugen-Schreiber-Straße, in der Nähe des Bahnhofs, möchte man nicht gerne leben. Hier fehlt ein Stück Lärmschutzwand, nur eine Hecke hält den Lärm der Züge ab. Fritz Wegerle wohnt nicht weit davon entfernt. Seit vor wenigen Jahren das Lagerhaus an der Bahnstrecke abgerissen wurde, ist der Lärm schlimmer geworden. "Die Bahn gibt uns Anwohnern Zuschüsse zu neuen Fenstern und Rollladenkästen. Das Angebot haben wir angenommen. Das bringt auch etwas, wenn man im Haus ist", sagt Fritz Wegerle. Im Garten allerdings kann man an lauen Sommerabenden nur mit Ohrenstöpseln sitzen. Und auch im ersten Obergeschoss ist der Bahnlärm nicht gering. "Die Lärmschutzwand müsste höher sein", fordert Wegerle, der seit 50 Jahren, von einer Unterbrechung abgesehen, hier lebt. Er hofft nun wie seine Nachbarn, dass die geplante Bebauung auf dem Brachgelände an der Bahn bald erfolgt und damit ein Stück weit vom Bahnlärm abschirmt. Auch die Lärmschutzwand würde dann verlängert. "Ich wünschte, es würden auf der Riedbahn nur noch Personenzüge verkehren", sagt der 58-Jährige.

Lärm in den Hochhäusern noch stärker
Mit Bahnlärm leben müssen auch viele Heppenheimer. Helmut Bechtel wohnt mit seiner Frau in der Moselstraße, direkt an der Lärmschutzwand. "Die Wand bringt schon was, etwas höher wäre aber besser", sagt der 67-Jährige. Als laut empfindet er es vor allem nachts, wenn die Güterzüge rattern und für Erschütterungen sorgen. "Wer etwas weiter weg wohnt und höher, zum Beispiel in den Hochhäusern, für den ist der Bahnlärm noch stärker", hat Bechtel selbst festgestellt. Er wünscht sich höhere Lärmschutzwände und noch mehr neue Züge, die leiser sind als die alten Güterwaggons. Die Lampertheimer Bürgerinitiative BILA befasst sich seit ein paar Jahren intensiv mit der geplanten Neubautrasse. Dabei rückte das Thema Lärm zuletzt immer mehr in den Fokus. Denn die Zahl der Züge hat zugenommen und wird weiter ansteigen. BILA-Sprecher Ulrich Guldner aus Neuschloß erläutert anhand einer Streckenkarte, wie viele Güterzüge auf den beiden südhessischen Nord-Süd-Strecken unterwegs sind: "Laut Bahn waren im Jahr 2016 zwischen Biblis und Lampertheim in 24 Stunden 102 Güterzüge, auf der Main-Neckar-Bahn 173 unterwegs." Die Bahn rechnet damit, dass ab 2025 die neue Trasse gebaut ist, auf der am Tag ICEs und nachts Güterzüge fahren werden. Im Bundesverkehrswegeplan rechnet man damit, dass zwischen Biblis und Lampertheim 200, auf der neuen Strecke 47 und entlang der Bergstraße 167 Güterzüge fahren. "Die Bahn strebt aber eine Verkehrslenkung an, nach der im Ried nur 134, auf der Neubautrasse sowie auf der Main-Neckar-Bahn je 140 Güterzüge fahren sollen. Sollte das so kommen, so wären die Bergsträßer leicht entlastet und die Ried-Bewohner stärker belastet. Doch die BILA-Mitstreiter schütteln den Kopf. Sie glauben nicht, dass es der Bahn gelingen wird, den Verkehr auf bestimmte Strecken zu lenken. "Wenn ein Privatunternehmer eine Bahnstrecke mietet, dann will er die schnellste und günstigste Verbindung von A nach B. Und das dürfte vor allem die Riedstrecke betreffen", sagt Guldner und fügt hinzu: "Wir bezweifeln, dass das so kommt. Die Bahn will ja sicher nicht, dass ihre neue Trasse von den Güterzügen kaputtgemacht wird." Daher rechnet BILA eher mit einer deutlichen Zunahme der Güterzüge auf der Riedstrecke und einer nur geringen Entlastung für Heppenheimer und Bensheimer.

BILA fordert reine Güterverkehrsstrecke
Und noch etwas ist unklar: Ob die neue Trasse überhaupt 2025 steht. Auch daran glaubt die rührige Bürgerinitiative nicht - frühestens 2030 sei das Millionen-Projekt verwirklicht. Die BILA-Mitstreiter vermuten auch, dass die Bahn nach wie vor die sogenannte C-Trasse favorisiert, denn sie betrachtet neben Schutzgütern wie Mensch, Wasser und Landschaft auch die Fahrzeit und die Kosten. Die C-Trasse geht diagonal durch den Lampertheimer Wald und ist kürzer als eine Strecke, die länger an der A 67 verläuft und erst bei Viernheim einen Schwenk nach Mannheim macht. "Die längere und damit teurere Strecke einschließlich dem bergmännischen Tunnel bei Lorsch müsste der Bund bezahlen. Um das zu bekommen, müssen die Bürger Druck auf die Politik machen", so die BILA-Aktivisten. Gemeinsam mit anderen Bürgerinitiativen fordert BILA, eine reine Güterverkehrsstrecke zu bauen. "Das wird europaweit so gemacht. Nur hier nicht. Das ist Flickwerk. Es wird bei Engpässen auf den Strecken bleiben", urteilt Guldner. Das sei nicht nur für den Verkehrsfluss besser. Anwohner einer Neubautrasse erhielten auch einen dreimal besseren Lärmschutz als die an Bestandsstrecken Lebenden. "Eine reine Güterverkehrstrecke ist wirtschaftlich und betrieblich nicht darstellbar", teilt Hans-Georg Zimmermann von der Deutschen Bahn AG mit. Die Leistungsfähigkeit einer Eisenbahnstrecke sei tendenziell umso höher, je geringer die Geschwindigkeitsdifferenzen der jeweiligen Züge ausfallen. Durch die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen schnellen und langsamen Zügen ergäben sich nicht nutzbare Zeitfenster zwischen den Zugfahrten. Dadurch vergrößert sich der erforderliche zeitliche Abstand zwischen den Zügen. Infolgedessen reduziere sich die Zahl der Züge, die auf der Strecke verkehren können. Immerhin macht der Bahn-Sprecher Hoffnung auf ruhigere Züge: "Die Umrüstung der Güterwagen auf Verbundstoffsohlen ist im vollen Gange. Bis Ende 2020 sind alle Wagen von DB Cargo leiser. Auch die anderen Güterwagenhalter und Eisenbahnverkehrsunternehmen rüsten um", sagt Zimmermann. Der Gesetzgeber verbiete laute Güterwagen ab dem Fahrplanwechsel 2020/21 in Deutschland. Für die Bahn-Anwohner in Lampertheim oder Heppenheim ist zumindest diese Nachricht Musik in den Ohren.

© Darmstädter Echo, Sonntag, 09.09.2018