Rhein-Zeitung vom 10.01.2018

Von Andreas Jöckel

Goarshausen. Die Bahn AG muss der Besitzerin eines Hauses in St. Goarshausen die Mehrkosten für den Einbau von Schallschutzfenstern bezahlen. Mit einer Berufung wäre die Bahn gescheitert. Denn das Landgericht Koblenz konnte keine Verfahrensfehler bei der Entscheidung des Amtsgerichts St. Goar erkennen. Deshalb einigten sich die Prozessbeteiligten auf einen Vergleich.

Das Urteil, das der Vorsitzende Richter am St. Goarer Amtsgericht, Klaus Behrendt, im September 2016 verkündet hatte, gilt damit beispielhaft für das ganze Mittelrheintal. Denn die Bahn kann sich nicht einfach auf den Bestandsschutz von Schienenstrecken berufen, sondern muss sich an die Lärmgrenzen im Bundesemissionsschutzgesetz halten und gegebenenfalls Mehrkosten für Schallschutzfenster zahlen. Im konkreten Fall waren dies rund 1600 Euro. Für eine Kostenübernahme durch die Bahn kämpfte die Hausbesitzerin lange: 2011 hatte sie das unmittelbar an der Bahnlinie gelegene Anwesen erworben und schnell festgestellt, dass es in den Räumen durch die Tag und Nacht vorbeifahrenden Züge unerträglich laut ist. Sie ließ für rund 4200 Euro Schallschutzfenster einbauen und versuchte sich mit der Bahn über eine Kostenübernahme zu einigen – vergeblich.

Klage eingereicht
Ende Januar 2015 reichte sie Klage beim Amtsgericht St. Goar ein. Bei einem Ortstermin überzeugte sich Richter Behrendt von der in den Wohnräumen herrschenden Lärmbelastung: „Man kann sich dort nicht unterhalten, nicht telefonieren, geschweige denn Radio hören oder fernsehen“, erklärte der Direktor des Amtsgerichts.

Gutachten: Grenzwert überschritten
Da sich die Bahn weiter weigerte, für die Lärmschutzmaßnahme aufzukommen, beauftragte das Gericht einen Sachverständigen. Dieser kam in seinem Gutachten zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Lärmbelastung in den Wohnungen des Anwesens ist unzumutbar hoch. 200 Züge passieren das Haus innerhalb von 24 Stunden. Diese verursachen tagsüber einen Geräuschpegel von 82 dB(A), nachts sogar in Höhe von 84 dB(A). Zum Vergleich: Laut Gutachten dürfte der Geräuschpegel tagsüber 59 dB(A) und nachts 49 dB(A) nicht überschreiten. Die Zumutbarkeitsgrenze liegt bei 60 dB(A). „Ein solcher Lärm führt zwangsläufig zu Gesundheitsschäden“, machte Richter Behrendt deutlich.
Die Bahn sollte laut Urteil für den Mehraufwand zur Vermeidung des nicht zulässigen Lärms aufkommen, dieser belaufe sich auf 40 Prozent der Gesamtkosten für den Einbau der Schallschutzfenster. Da die alten Fenster in keinem guten Zustand mehr waren und ohnehin ersetzt werden mussten, muss die Hausbesitzerin einen Teil der Kosten für den Einbau selbst tragen.

Präzedenzfall geschaffen
Mit seinem Urteil hat Richter Behrendt einen Präzedenzfall geschaffen: Schließlich genießt die Bahn in Deutschland grundsätzlich Bestandsschutz. Hausbesitzer, die Grundstücke entlang der Schienen erworben haben, scheiterten in der Vergangenheitmeist mit ihren Klagen auf Kostenübernahmen für passiven Lärmschutz, da sie nachweisen mussten, dass sich die Belastung durch die Züge, seit sie dort wohnen, erheblich verstärkt habe. Diese Rechtsauffassung hat sich aber in den vergangenen Jahren geändert, erläuterte Behrendt: „Alles, was über die Zumutbarkeitsgrenze hinausgeht, ist rechtswidrig.“ Der Vorsitzende Richter hält es für denkbar, dass auf den Konzern nun eine Klagewelle zurollt, da das Urteil weitere Hausbesitzer ermutigen könnte, ebenfalls auf eine Kostenübernahme für Lärmschutzmaßnahmen zu klagen: „Das Gesetz lässt das zu.“

Berufung lief ins Leere
Die Bahn AG war sich der Bedeutung des im September 2016 verkündeten Urteils durchaus bewusst. Nicht nur im Mittelrheintal, sondern deutschlandweit beschäftigen sich die Gerichte mit zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen. Der Anwalt des Konzerns kündigte deshalb bereits nach dem Urteil 2016 an, alle juristischen Wege zu nutzen, um zu verhindern, dass die Entscheidung rechtskräftig wird. Doch die Berufung lief ins Leere. Der Vergleich kam die Bahn nach Informationen unserer Zeitung noch teurer zu stehen: Denn der Konzern zahlt der Frau nun 2500 Euro für die Schallschutzfenster. Außerdem sind die juristischen Mittel mit dem Vergleich ausgeschöpft.